Freiheit beginnt im Hals
Sicher kennen Sie Redewendungen wie „Das schnürt mir den Hals zu“ oder „Jemanden am Hals haben“, was so viel wie „Ich fühle mich eingeengt“ bedeutet. Bei genauer Betrachtung von „ich fühle mich eingeengt“ ist es kein wirkliches Gefühl, das in diesem Moment geäußert wird, sondern ein Gedanke. Ich unterstelle dem anderen mich einzuengen. Bevor Sie ihm dann an die „Gurgel gehen“ oder Ihrem Gesprächspartner den „Hals umdrehen“, ist es sinnvoller mit der Situation „beziehungserhaltend“ umzugehen. Denn niemand kann ganz allein leben. Wir brauchen tagtäglich Menschen und wir wären schnell am Ende unsere Kräfte, wenn wir alles selbst machen wollten.
Wie könnte ein wertschätzender Umgang aussehen?
Um ein echtes Gefühl zu erkennen, können Sie sich fragen: “Wie fühle ich mich, wenn ich mir eingeengt vorkomme?“. Nehmen Sie dafür Ihre körperlichen Empfindungen wahr, die zusätzlich zu dem Engegefühl im Hals vorhanden sind. So zeigen sich z. B. folgende Gefühle: angespannt, traurig, hilflos, enttäuscht, wütend, frustriert. Wenn Sie Ihr Gefühl in Ihrem Körper wahrgenommen haben, probieren Sie aus, es diesmal nicht zu ignorieren oder „vom Hals haben“ zu wollen, sondern es für einen Moment anzunehmen.
Nebenbei bemerkt: Wie wertschätzend empfinden Sie es, wenn jemand Sie nicht haben möchte oder ignoriert? Gefühle sind wertvoll, weil sie wichtige Signalgeber unserer Bedürfnisse sind. Erleben wir unangenehme Gefühle, sind unsere Bedürfnisse nicht erfüllt – bei angenehmen Gefühlen sind sie es.
Akzeptieren Sie nun zunächst Ihre körperlichen Empfindungen, die mit einem Gefühl verknüpft sind. Lassen Sie das Gefühl zu, so wie es ist, ohne es zu dramatisieren oder zu ignorieren und konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Langsames Ein- und Ausatmen beruhigt und löst meistens das Engegefühl im Körper auf.
Um jetzt weiterzukommen und angenehme Gefühle entstehen zu lassen, versuchen Sie, die Botschaft Ihres Körpers wahrzunehmen, die mit diesem Gefühl verknüpft ist.
Fragen Sie sich, welches Bedürfnis jetzt gerade nicht erfüllt ist und was Sie hier und jetzt brauchen!
Dann könnten Bedürfnisse auftauchen wie der Wunsch nach Freiheit, Leichtigkeit, Respekt und Selbstbestimmung.
Apropos Selbstbestimmung: Ab dem 18. Lebensjahr können wir theoretisch jeden Moment unseres Lebens selbst bestimmen. Im Alltag vergessen wir aber leider oft, dass wir in den meisten Situationen die Wahl haben, und wir benehmen uns wie trotzige oder rebellierende Kinder, ohne zu merken, dass wir unsere Reaktion selbst in der Hand haben.
Wenn Sie sich selbst ernst nehmen, dann werden es auch die anderen tun. Wenn wir uns selbst und Andere achten, können wir mit klarer Stimme ansprechen, was uns wichtig ist bzw. was uns „zum Halse heraushängt“.
Ein entschlossenes „Stopp“ oder „Nein“ verbunden mit aufrechter Körperhaltung verhindert, dass die eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund gedrängt werden. Uns zu zeigen, dafür braucht es Mut und Kraft. Erlauben Sie es sich, Ihre Stimme zu erheben und äußern Sie Ihr Bedürfnis.
Kraftvolle Bitten
Stellen Sie eine konkrete Bitte, holen Sie sich Unterstützung, statt zu versuchen sich die Probleme allein „vom Halse zu schaffen“. Die meisten Menschen tragen gerne zum Wohl Anderer bei. Und wenn Sie zulassen, dass Andere etwas vielleicht anders erledigen als Sie, kann ein Gespräch darüber beide Parteien bereichern.
Frei oder abhängig?
Sie möchten keine Bitte stellen? Hindert Ihr Stolz Sie daran oder haben Sie Angst vor einer Zurückweisung?
Wenn Sie sich dafür entscheiden, keine Konfliktgespräche zu führen, dann werden sich Menschen nicht mit Ihnen verbinden können und das kann dazu führen, dass sich Ihre Mitmenschen zurückziehen.
Macht es Ihnen nichts aus, wenn jemand gerade nicht mit Ihnen reden will? Prima. Damit signalisieren Sie nach außen, Ihr Leben frei und unabhängig zu führen.
Beginnen Sie allerdings darunter zu leiden, dann sind Sie nicht frei und selbstbestimmt. In gesunden Beziehungen hat jeder – zu jeder Zeit – die Wahl zwischen Kontakt und Rückzug. Niemand braucht den anderen, um sein Leben zu leben – auch wenn es gemeinsam zugegebenermaßen noch ein wenig „erlebenswerter“ wird. Niemand ist für die Erwartungen des anderen zuständig und manchmal werden Bedürfnisse auch einfach nicht von unseren Lieblingsmenschen erfüllt.
Um Ihre Freiheit leben zu können, stellen Sie sich immer wieder die folgenden Fragen:
- Wo ist meine persönliche Grenze?
- Was würde mein Leben leichter und erfüllter machen?
- Was kann ich ändern und was nicht?
Danach können Sie mit Kopf, Hals und Herz Ihre Worte wählen, um sich für Ihre Bedürfnisse einzusetzen. Vergessen Sie dabei nicht, dass sich nicht die ganze Welt um Sie dreht. Denn auch Ihre Mitmenschen haben Bedürfnisse und möchten zu Wort kommen. Und prüfen Sie, mit welcher Offenheit und Einstellung Sie die Worte Ihres Gegenübers hören. Die Macht und die Möglichkeit liegen bei Ihnen.
Das Gelassenheitsgebet:
„Gib mir die Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. “ Reinhold Niebuhr